Alles ist Eins


 

Fliegen

 

Fliegen - wie geht das? Warum kann man fliegen?

Wer war der erste, wer hat’s erfunden?

Komm her, ich zeig dir’s, lass uns erkunden!

Siehst du dort oben in Lüften sich wiegen,

ohne Flügelschlag kreisen, segeln am Wind,

lautlos schwebend wie Vögel es sind:

Habicht und Adler auf Luft nur sie liegen;

So auch der Flieger der lautlos entschwebt,

allein der Wind unterm Flügel ihn hebt.

 

Andere zappeln, propellern und brummen,

mit Flügeln seitlich oder auch oben

schlagen, rotieren, zittern und toben.

Manche vibrieren heftig und summen,

die dicken und dünnen, grossen und kleinen,

breiten und schmalen, groben und feinen,

Sie rufen und pfeifen oder verstummen.

Gebilde wie Sammet, getupft und hauchzart

Oder mit Federn, neu: glatt und ganz hart.

 

Alles scheint möglich, der Lösungen viel.

So oder anders kommst du ans Ziel.

Fliegen lag immer schon in der Luft:

Die Luft ist’s, die selber das Fliegen erschuf.
 

Gudrun Kleinlogel, August 2005


Die Wellen

 

Wellen um Wellen und Wellen zu Wogen

in einem fort.

Neue entstehen und alte vergehen

erst hier und dann dort.

Manch eine bäumt sich zu sprudelnder Gischt,

zu rollenden Fronten, bevor sie erlischt.

 

Über dem Wasser ein Lärmen und Grollen,

ein Spritzen und Zischen, ein Drängen und Tollen

als kämpft’ eine jede um Vorherrschaft hier:

will grösser sein, schneller sein, das reicht zur Zier.

 

Grosse und kleine kommen und gehen,

treffen zusammen, Neue entstehen.

Grosse aus kleinen und kleine aus grossen

werden, vergehen mit mächtigem Tosen.

 

Ihr Leben ist kurz, so will es uns scheinen,

doch sind sie alle nur Formen des einen

Urgrundes Wasser, der ruhet und steht,

bleibt stets sich selber und niemals vergeht.

 

Die Wellen sind Formen, Formen des Seins,

gehören zum Gleichen, sind alle nur eins.

 

 

Gudrun Kleinlogel, August 2005




Seele und Sein

 

Schau diesen Blick!

Kennst du ihn nicht?

Sieh drin das Glück,

fühl drin den Schmerz,

die Freude wie ein funkelnd’ Licht,

die Qualen im verletzten Herz.

 

Bist du’s nicht selbst?

Ist’s nicht dein Blick?

Die Frage, die du stellst:

Hast du nicht alles selbst erfühlt?

Ist’s nicht wie von dir selbst ein Stück?

Ist’s nicht der Schmerz der in dir wühlt?

 

Schau tief hinab

in diesen Blick!

Was Sein uns gab,

wirft er zurück.

Die Seele selber blickt dich an

aus jeder Frau, aus jedem Mann.

 

Schreit weiter fort

auf dieser Spur!

Erkenntnis wird dir dort:

Du findest’s nicht im Menschen nur;

Es zeigt sich dir an jedem Ort.

 

Aus allen Tieren strahlt’s dich an,

aus jeder Pflanze, jedem Stein:

nur eine Seele und ein Sein.

Spürst du es erst, erkennst du dann:

Was auch an Leid durch dich gescheh’,

tut deiner eignen Seele weh!

 

 

Gudrun Kleinlogel, 13.2.2006